Immer wieder holt sie ihre Depression ein. Dann verkriecht sich Maria Kaiser, die in Wirklichkeit anders heißt, niedergeschlagen in ihrem Schneckenhaus und will nichts mehr von der Welt da draußen wissen. "Den Tod meiner Mutter habe ich nie richtig verarbeitet, obwohl der schon mehrere Jahr zurückliegt", sagt die 57-jährige alleinstehende Frau. Ihre Kindheit war schwierig: Da ihr Vater und ihre Mutter permanent unterwegs waren, wuchs sie als Einzelkind bei einer Kriegswitwe auf, die im selben Haus wohnte. Nachdem sich die Eltern getrennt hatten, lebte sie in einer "Patchwork"-Familie. "Das war einfach nicht meins", meint sie rückblickend.
Mit Leidenschaft arbeitet Maria Kaiser seit vielen Jahren in einem Krankenhaus. Mit den Patientinnen und Patienten kommt sie gut klar. Häufig gerät sie jedoch in Konflikte mit den Kolleginnen und Kollegen und weiß oft nicht, wie sie damit umgehen soll. Als der Leidendruck 2020 zu groß wurde und sie bei niedergelassenen Psychologen keinen Termin innerhalb von Monaten bekam, wurde sie zur Beratungsstelle für psychische Gesundheit der Caritas-Kreisstelle Ingolstadt vermittelt.
Gespräche haben Kraft gegeben
Seitdem kommt sie in der Regel einmal im Monat zur Einzelberatung zu Maika Böhme, die Beraterin und Fachdienstleiterin der Stelle ist. Seit kurzem nimmt Maria Kaiser zudem an deren Gruppenangebot "Ganz unter uns" teil. Der Kontakt zu anderen Menschen, die sich in ähnlich schwierigen Lebenssituationen befinden, tut ihr gut, ganz nach dem Motto "Geteiltes Leid ist halbes Leid". "Die Gespräche bei der Caritas-Beratungsstelle haben mir Kraft gegeben", erzählt sie und macht so auf das aufmerksam, was der Caritasverband Eichstätt bei seiner Frühjahrssammlung 2022 mit dem Leitspruch "Liebe stärkt" zum Ausdruck bringen will. Die Beratung habe bei ihr auch schon zu einer Verhaltensänderung geführt: "Ich bin jetzt in Konflikten ruhiger als vor zwei Jahren", erklärt Maria Kaiser.
Laut Maika Böhme ist Maria Kaiser ein durchaus "typischer Fall" unter den Klientinnen und Klienten der Caritas-Beratungsstelle. Depressionen gehören dort zu den am häufigsten diagnostizierten Erkrankungen. In einer Hinsicht ist sie aber eine Ausnahme. Corona hat Maria Kaiser auf ihrem Genesungsweg geholfen, indem die damit verbundenen Einschränkungen in ihrem Leben Ruhe, Zufriedenheit und Entschleunigung gefördert hätten. Das ist allgemein hingegen ganz anders "Die psychische Belastung bei den Menschen hat durch die Pandemie auf jeden Fall zugenommen", erklärt Maika Böhme. Nach der hauseigenen Statistik lagen die Kontakte im Jahr 2019, also im Jahr vor der Pandemie, noch bei 3.352 Stunden. 2021 schnellte diese Zahl um gut 1.400 Stunden auf über 4.764 hoch.
Typisch ist bei Maria Kaiser hingegen wiederum, dass sie wie viele andere zunächst erfolglos einen Therapieplatz gesucht habe. "Wartezeiten sind für viele Menschen schwer auszuhalten. Bei uns bekommen sie wenn möglich innerhalb von 14 Tagen einen Termin zum Erstgespräch", macht Maika Böhme auf den niederschwelligen Zugang zur Caritas-Beratungsstelle aufmerk-sam. Niederschwellig sei der Dienst auch dadurch, "dass man für ein Gespräch hier keine Diagnose und auch keine Überweisung braucht. Auf Wunsch kann die Beratung sogar anonym erfolgen." Die Stelle habe nochmals mehr Anfragen bekommen, seit deren Mitarbeitenden auch tele-fonisch, online und per Mail beraten. "Gerade Erstgespräche für Klientinnen und Klienten, die etwa an einer Angststörung leiden, sind telefonisch eher realisierbar als persönlich", so Böhme. Eine typische Klientin ist die 57-jährige Krankenhaus-Mitarbeiterin inzwischen auch, was Alter und Arbeitssituation betrifft: Denn deutlich angestiegen sind die Zahlen von 2020 auf 2021 bei unter 60-Jährigen von 236 auf 271 und jene der erwerbstätigen Klientinnen und Klienten von 118 auf 167.
Ein wichtiger Pfeiler der Beratungsstelle, die letztes Jahr 40 Jahre alt wurde, ist ihr Gerontopsychiatrischer Dienst für über 60-jährige Menschen mit psychischen Belastungen. Diese Beratungen erfolgen oftmals durch Hausbesuche, wie sie etwa Caritas-Mitarbeiterin Silke Felsmann bei der 73-jährigen Ernestine Krakowitzer in Ingolstadt leistet. Die Seniorin hat keine psychiatrische Diagnose, ist aber bereits seit einem Schlaganfall ihrer Vaters 1993 einer großen Belastung als pflegende Angehörige ausgesetzt. Nachdem der Vater 2009 starb, wurde ihre Mutter sehr wankelmütig, hatte teilweise Wahnvorstellungen und wurde schließlich pflegebedürftig.
Ernestine Krakowitzer pflegte sodann aber nicht nur sie, sondern ebenfalls ihre Tante, die auch zum Pflegefall geworden war. Oft war sie damit überfordert: "Ich konnte mich teilweise nicht mehr auf meine Kreuzworträtsel konzentrieren", berichtet sie. Als Mutter und Tante 2015 starben, war es der Ingolstädterin und ihrem Mann für wenige Jahre endlich möglich, eigene Interessen zu verfolgen, zum Beispiel gemeinsam zu wandern. Doch das Glück währte nicht lange, denn 2018 erlitt ihr Mann einen Schlaganfall und ist seitdem bettlägerig.
"Viel durchgemacht"
Seit 2010 wird Ernestine Krakowitzer mit Unterbrechungen einmal im Monat einzeln von Silke Felsmann beraten. Diese hilft ihr bei Anträgen und Formularen, ist für sie aber auch eine wichtige Ansprechpartnerin für persönliche und familiäre Anliegen. Immer wieder schauen sich die beiden gemeinsam Fotoalben aus früheren Zeiten an. "Ohne die Caritas hätte ich das alles nicht geschafft. Die bringt mir Sicherheit", meint die Seniorin. "Ich kann bei Frau Felsmann das loswerden, was andere nicht verstehen", bringt sie auf den Punkt, was ihr an deren Besuch guttut.
Diese wiederum weiß: "Frau Krakowitzer hat viel durchgemacht: Trauer, Pflege, Überforderung und Angst, wie alles zu schaffen ist." Silke Felsmann leitet auch eine Angehörigengruppe, an der Ernestine Krakowitzer teilnimmt. Dankbar für diese "Auszeit" tauscht die 73-Jährige sich hier mit zwei anderen älteren Menschen in ähnlicher Lebenslage aus. Besondere Aktivitäten wie eine Kräuterwanderung, ein Frauenfrühstück, eine Aromatherapie oder Vorträge für ältere Menschen sorgen zudem für Abwechslung im oft schwierigen Alltag der pflegenden Angehörigen.