Anlässlich des Welttages der Suizidprävention am 10. September macht der Caritasverband für die Diözese Eichstätt auf Hilfemöglichkeiten für Betroffene aufmerksam. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben sich in den letzten Jahren jeweils über 9.000 Menschen in Deutschland das Leben genommen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der beiden Sozialpsychiatrischen Dienste der Caritas in Eichstätt und Ingolstadt "haben sehr häufig mit Suizidalität zu tun”, wie deren Sprecherin Ulrike Schurr-Schöpfel erklärt.
"Im Rahmen des Krisendienstes Psychiatrie fragen wir bei jedem Einsatz, bei jedem persönlichen Gespräch, zu dem wir durch die Leitstelle des Krisendienstes gerufen werden, die Suizidgefährdung ab”, so die Diplom-Sozialpädagogin, die beim Sozialpsychiatrischen Dienst der Caritas-Kreisstelle Eichstatt berät. Suizide gebe es in allen Lebensaltern und in allen sozialen Schichten. Die Gründe, warum sich Menschen das Leben nehmen, seien sehr verschieden. "Fast immer ist eine schwere psychische Krise vorausgegangen. Diese wurde aber oft nicht in ihrem lebensgefährlichen Ausmaß wahrgenommen.”
Laut Ulrike Schurr-Schöpfel ist entscheidend, dass Äußerungen zu Suizidalität ernstgenommen werden. Es gelte nicht die Erfahrung "Hunde, die bellen, beißen nicht”. Jede Äußerung, die auf eine Suizidgefährdung hindeutet, müsse wahrgenommen und angesprochen werden. "Es ist für die Betroffenen oftmals eine große Erleichterung, wenn sie über ihre Suizidgedanken sprechen können. Nicht das Sprechen über Suizide löst diese aus, sondern das Nicht-Ansprechen”, betont die Caritas-Mitarbeiterin. "Beim Sozialpsychiatrischen Dienst schätzen wir das Gefährdungspotential im Gespräch ein. Gründe und Absichten versuchen wir, behutsam offen zu legen.” Wichtig sei, die Betroffenen nach ihren Ressourcen zu fragen: zum Beispiel nach der Familie, die unter-stützt, einem geliebten Menschen, dem der oder die Gefährdete es nicht antun möchte, zu gehen.
Caritas-Mitarbeitende erfragen Risiko- und Schutzfaktoren
Im Gespräch wird Ulrike Schurr-Schöpfel zufolge zum einen nach Risikofaktoren gefragt: Wurden schon Vorbereitungen getroffen, mit wem hat die Person schon gesprochen? Wurden schon früher Suizidversuche unternommen? Gab es Suizidversuche in der Familie, im Umfeld? Fühlt sich die Person einer extremen Belastung ausgesetzt, zum Beispiel durch Trennung oder Arbeitslosigkeit? Fällt es schwer, an etwas anderes als diese Probleme zu denken? Hält die Person ihre Situation für ausweglos?
Zum anderen werden Schutzfaktoren ausfindig gemacht: Was hält die betroffene Person am Leben? Wer kann unterstützend wirken? Und wie? Was könnte der Person noch helfen? Was ist das Bedürfnis der betroffenen Person? Was müsste anders werden, damit das Leben wieder auszuhalten ist? Können sie selbst etwas Gutes für sich tun? Zu den wichtigen Schutzfaktoren zählen auch die Interessen. Hat die Person noch Interesse an dem, was in ihrem Umfeld geschieht, zum Beispiel im Beruf? Welche Hobbys gibt es, für die sich die Person vor ihrem Gefühl der Ausweglosigkeit interessierte. Welche Stärken hat sie? Fühlt sich die Person in einer Religion verwurzelt? Lebt die Person allein oder mit anderen zusammen? "Bei akuter Gefährdung darf die Person nicht allein gelassen werden”, betont die Caritas-Mitarbeiterin.
"Wir vereinbaren mit Menschen, die sich suizidal geäußert haben, eine Art Abkommen. Die Person muss glaubhaft versichern, dass sie sich vom Suizid distanziert hat. Regelmäßige Anrufe bei den betroffenen Personen können zum Beispiel helfen.” Bei akuter Gefährdung muss die Notfallnummer 110 oder 112 gewählt werden. Angehörige und Betroffene können auch den Krisen-dienst Psychiatrie anrufen: Unter der Nummer 0800/6553000 ist rund um die Uhr Fachpersonal erreichbar. Wenn die Leitstelle sich nicht sicher ist, ob eine Gefährdung vorliegt, schickt sie ein Einsatzteam von zwei Mitarbeitenden zu den Betroffenen. Grundsätzlich erklärt Ulrike Schurr-Schöpfel: "Die meisten suizidalen Personen wollen nicht sterben. Sie möchten nicht mehr mit so großem Schmerz und Leid leben.”
Angehörige sollten sich beraten lassen
Maika Böhme, Fachdienstleiterin der Beratungsstelle für psychische Gesundheit der Caritas-Kreisstelle Ingolstadt, erklärt: "Im Beratungssetting haben wir indirekt täglich mit dem Thema Suizidalität zu tun. Wir haben immer im Hinterkopf, dass wir es mit stark belasteten oder psychisch kranken Menschen zu tun haben und bei einer Vielzahl der Klientinnen und Klienten ‘lebensmüde’ Gedanken auftauchen können. Wenn wir eine Verschlechterung beim Betroffenen feststellen, sprechen wir es ganz offen an und thematisieren mögliche Suizidabsichten.” Es sei wichtig, dass auch nahestehende Menschen dies tun: "Allerdings muss die oder der Angehörige dann sehr genau hinhören und genauer hinterfragen beziehungsweise sich Hilfe in Form von Beratung holen. Schnelle und problemlose Beratung findet man laut Maika Böhme rund um die Uhr beim Krisen-dienst Oberbayern. "Darüber hinaus kann sich jede und jeder Betroffene und Angehörige an unsere Beratungsstelle wenden.”
Ein Beispiel, das der Caritas-Fachdienstleiterin nachdrücklich in Erinnerung geblieben ist, ist eine junge Frau, Mitte zwanzig, welche nach einem Suizidversuch und anschließendem mehrmonatigen Klinikaufenthalt zu ihr in die Beratung kam. Im Nachhinein war es für die Klientin nicht mehr wirklich nachvollziehbar, dass sie damals so verzweifelt war, dass sie sich umbringen wollte. "Letztlich waren es wohl mehrere Aspekte, welche einzeln für sich betrachtet lösbar gewesen wären, in der Fülle aber zu dieser Verzweiflungstat geführt haben. Da waren der eigene Anspruch, allem gerecht werden zu müssen, der fehlende Zugang zu den eigenen Emotionen, das Zurückstellen der eigenen Bedürfnisse hinter die der Mitmenschen und zum Schluss die massiven Einschränkungen durch die Corona-Pandemie und die damit wegfallenden Stressbewältigungsstrategien.”