Foto: Peter Esser
Eigentlich könnte Faisal Seddiqi zuversichtlich in die Zukunft schauen, denn er ist ein Beispiel für gelungene Integration: Der 34-jährige Asylbewerber hat eine Ausbildung absolviert, seit kurzem eine Arbeitsstelle und wird kommendes Jahr ein Studium aufnehmen. Doch der Neuingolstädter kommt oft nicht zur Ruhe aufgrund der täglichen Gewalt und Unterdrückung in seinem Heimatland Afghanistan. Immer wieder ist er in Gedanken bei seiner Familie, mit der er täglich übers Handy Kontakt hat. "Eine Schwester von mir hat zuletzt sechs Kilo verloren, weil sie sich ständig ängstigt", erzählt Faisal. "Die Taliban sind Terroristen", nimmt er kein Blatt vor den Mund. Er glaubt nicht an ein menschlicheres Gesicht der Islamisten nach ihrer zweiten Machtübernahme im Vergleich mit der ersten Regierungszeit in den Neunzigerjahren. Fragt man ihn, was Deutschland derzeit am besten tun kann, erhält man als eindeutige Antwort: "so viele Menschen wie möglich aus dem Land ausfliegen!"
Faisal Seddiqi stammt aus einer zehnköpfigen Familie in Kabul. Nach der Schule arbeitete er zunächst einige Jahre bei einer afghanischen Ölfirma und studierte dann Politikwissenschaft. Schon während des Studiums war er im afghanischen Außenministerium angestellt, anschließend an der afghanischen Botschaft in Den Haag. Ende 2017 ergriff er die Flucht und kam mit einem Bus über Schweden nach Deutschland. "Ich wollte mein Leben retten", sagt er kurz und knapp, mehr will er dazu nicht mitteilen. Er hat eine Aufenthaltsgestattung, sein Asylverfahren ist immer noch nicht abgeschlossen.
Haupt- und ehrenamtlich bei der Caritas
Am Anfang war er im Ankerzentrum in Ingolstadt untergebracht, anschließend in einer dezentralen Unterkunft für Asylbewerber in Kösching. Seit kurzem hat er eine eigene Wohnung in Ingolstadt. "Das stärkt mein Selbstwertgefühl ungemein", freut er sich, diese Möglichkeit bekommen zu haben. Und Faisal nutzte die beruflichen Chancen, die er erhalten hat. Nach einer Ausbildung zum Sozialbetreuer bei der Gemeinnützigen Gesellschaft für soziale Dienste (GGSD) ist er seit kurzem bei der Caritas-Kreisstelle Ingolstadt als Schulbegleiter an der August-Horch-Schule, einem sonderpädagogischen Förderzentrum, in Teilzeit angestellt. Dort hilft und motiviert er Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten. "Es ist eine erfüllende Arbeit. Da weiß man am Feierabend, was man getan hat", meint Faisal. Im Sozialbereich hat er seine Berufung gefunden und will er sich weiterbilden: mit einem Studium Soziale Arbeit oder Sozialmanagement im kommenden Jahr.
Neben seiner hauptberuflichen Arbeit ist er seit mehreren Monaten zweimal in der Woche ehrenamtlich bei den Caritas-Wohnheimen und Werkstätten engagiert. Er fährt Bewohnerinnen und Bewohner der Einrichtung zum Beispiel zum Einkaufen oder zum Arzt, hilft aber auch dabei, Zimmer bezugsfertig zu machen und Räumlichkeiten zu reinigen. "Er ist sich für keine Arbeit zu schade", lobt ihn Sozialdienstleiter Hajo Aden. Auch für die Mitarbeitenden sei es interessant, sich mit einem Menschen mit anderem kulturellen Hintergrund austauschen zu können. "Dass Faisal äußerst gut deutsch spricht, ist dafür natürlich auch ein Vorteil", meint Aden.
Zu den Caritas-Wohnheimen und Werkstätten kam Faisal, als er einen Prospekt der Einrichtung mit Telefonnummer und Aufschrift "Wenn Sie freiwillig helfen wollen, kommen Sie zu uns" im Wartezimmer eines Arztes entdeckte. "Da mir die Caritas viel geholfen hat, vor allem im Asylverfahren, wollte ich etwas zurückgeben", erklärt der junge Afghane. Seine Deutschlehrerin rief Hajo Aden an, und kurz darauf fing er im Betreuungsdienst der Caritas-Wohnheime an. "Hier arbeite ich mit vielen netten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zusammen und man betrachtet mich auf Augenhöhe", freut er sich - auch wenn er sein Ehrenamt nun aufgrund seiner neuen hauptamtlichen Arbeit etwas einschränken muss.
Größter Wunsch, dass Familie nach Deutschland kommt
Faisal hat sich in Ingolstadt gut eingelebt: "Ich fühle mich hier heimisch und schätze die Gastfreundschaft und Großherzigkeit der Bayern", erklärt er. Er hat fest vor, hier eine eigene Familie zu gründen. Sein größter Wunsch ist aber, "dass auch meine Familie aus Afghanistan hierher kommen kann".